Menschliche Schwächen
Als Menschen kommen wir unbelastet und frei von Vorurteilen zur Welt. Obwohl Forschungsergebnisse darauf hindeuten, dass wir schon früh dazu neigen, uns mit Menschen aus der gleichen sozialen Gruppe zu identifizieren, fällen wir erst später Urteile über andere Gruppen oder übernehmen Stereotypen. Diese (oft negativen) Aspekte unseres Verhaltens werden alle von unserem hochleistungsfähigen Gehirn erlernt. Unser Gehirn verfügt über unglaubliche Kapazitäten zur Informationsaufnahme und -verarbeitung und läuft vom ersten Tag an auf Hochtouren. Es nimmt die Bilder, die Sprache und die Geräusche um uns herum zügig auf und beginnt, aus diesen Daten unsere individuelle Vorstellung vom Leben zu entwickeln. Mit anderen Worten, wir eignen uns Vorurteile an, sobald wir den ersten Atemzug machen.
Meistens fällt es uns schwer, unsere eigenen Vorurteile zu erkennen. Sie prägen sich durch jahrelange, wiederholte Erfahrungen so sehr ein, dass wir unser objektives Selbst aus den Augen verlieren – falls so etwas überhaupt existiert. Unsere Art, Geschlechter wahrzunehmen, ist Teil dieses Unterbewusstseins.
Im Jahr 1998 wurde das Project Implicit von Wissenschaftler*innen der Universitäten Washington, Harvard und Virginia ins Leben gerufen und zielt darauf ab, „die Öffentlichkeit über Voreingenommenheit aufzuklären“. Im Rahmen des Projekts wurde eine Reihe von „Implicit Association Tests“ entwickelt, die häufig Vorurteile aufdecken, von denen man nicht einmal weiß, dass man sie hat. Wir haben den „Gender-Career-Test“ gemacht und waren etwas erschrocken über das Ergebnis, das unzweifelhaft unsere eigene unbewusste Voreingenommenheit aufdeckte. Die Auswertung zeigte, dass wir wider besseres Wissen Familie eindeutig mit weiblichen Begriffen und Karriere mit männlichen Begriffen verbinden.
Diese Ergebnisse sind zwar schockierend, aber nicht überraschend. Wie die Forschung schlüssig zeigt, werden wir von Anfang an von unseren Eltern und der Gesellschaft darauf programmiert, Geschlechterstereotypen zu entsprechen, von dem Moment an, in dem die Ultraschalluntersuchung das Geschlecht des Babys offenbart, über das Spielzeug, das wir bekommen, bis hin zu den Spielplatzregeln, die wir beobachten und übernehmen. Unsere Vorstellung von Geschlechterrollen ist nur eine von vielen unbewussten Tendenzen, die in unserem Gehirn verankert sind, und genau wie Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Altersdiskriminierung usw. kann sie sehr schädlich sein.
Schwerwiegende Folgen
Unsere unbewussten Vorurteile können unsere Entscheidungsfindung beeinflussen und dazu führen, dass wir andere ungerecht behandeln, oft ohne dass wir es überhaupt merken. Egal, ob Sie Vorstellungsgespräche für Ihr Unternehmen führen oder an einer Schule unterrichten oder – ja, auch wir sind nicht ausgenommen – von einer Sprache in eine andere übersetzen: Ihre unbewusste Voreingenommenheit spielt bei allen Entscheidungen, die Sie in dieser Funktion treffen, eine Rolle und wirkt sich auf alle Beteiligten aus. Wir entwickeln mit den Informationen, die wir im Laufe unseres Lebens ansammeln, unsere eigenen Wahrheiten und filtern die Details heraus, die gut in unsere Weltsicht passen. Dabei bilden wir uns Meinungen, die unglaublich schwer zu ändern sind.
Doch auch, wenn es schwierig sein mag, sie zu ändern – unmöglich ist es nicht. Es ist wichtig, dass wir nach Wegen suchen, um diese Vorurteile zu beseitigen, denn der Schaden, den sie anrichten, ist unermesslich und kann sich über Generationen hinweg verfestigen. Die Sprache kann unbewusste Vorurteile auf subtile Weise aufrechterhalten und wiederspiegeln. Es ist daher ein guter Anfang, darauf zu achten, was wir sagen und wie wir es sagen. Als Linguist*innen interessieren wir uns natürlich für die Macht der Sprache und dafür, wie sie eingesetzt werden kann. In diesem Blog wollen wir uns vor allem mit der geschlechtsspezifischen Voreingenommenheit in unserer Sprache befassen und zeigen, warum wir daran arbeiten sollten, sie zu ändern.
Ein Ausflug in die Grammatik
Grammatik macht nie Spaß, aber in diesem Fall kann sie uns helfen zu verstehen, warum das Geschlecht in der Sprache ein Thema ist. Die Art, wie wir Geschlechter ausdrücken, ist komplex. Die Sprache selbst schränkt ein und bestimmt, wie wir auf das Geschlecht einer Person Bezug nehmen können, und aufgrund grammatischer Konstruktionen haben wir nicht immer die Worte, die wir brauchen, um alle Geschlechter gleichermaßen abzubilden.
Sprachen lassen sich in drei Kategorien einteilen – geschlechtsspezifisch, geschlechtslos und diejenigen, die wir als natürliches Geschlecht bezeichnen. In einer geschlechtsspezifischen Sprache wird allen Substantiven und Pronomen ein Geschlecht zugeordnet, das in der Regel weiblich, männlich oder neutral ist. Sprachen mit natürlichem Geschlecht beziehen sich auf das (angenommene) Geschlecht der Person (er oder sie, ihm oder ihr), aber nicht auf das von Objekten, und geschlechtslose Sprachen vermeiden das Geschlecht gänzlich und beziehen sich darauf, ob etwas belebt oder unbelebt, menschlich oder nicht-menschlich usw. ist, und nicht auf sein Geschlecht.
Die Hauptprobleme des grammatikalischen Geschlechts bestehen darin, dass die Darstellung anderer Geschlechtsidentitäten als männlich und weiblich im Allgemeinen schwierig ist, und männliche Strukturen häufig als Standardausdruck verwendet werden. Beides bedeutet, dass es oft schwierig ist, die Geschlechter in unseren Worten und Formulierungen gerecht darzustellen, selbst wenn wir uns bewusst dafür entscheiden. Das wiederum führt zur Unterrepräsentation von Frauen und LGBTQIA+-Gruppen.
Neben den grammatischen Einschränkungen wird der Gender Bias auch verfestigt, weil wir die männliche Sichtweise bevorzugen. Historisch gesehen wurde im Englischen „mankind“, „man-hours“, „manpower“ usw. verwendet, um Dinge zu bezeichnen, die mit allen Menschen in Verbindung gebracht werden. Und um die Sache noch schlimmer zu machen, weisen wir neutralen Substantiven wie „Fußballer“ oder „Chirurg“ oder „Armeeoffizier“ automatisch (in unseren Köpfen) männliche Geschlechterrollen zu, egal wie sehr wir unserer Meinung nach den Gleichstellungsgedanken unterstützen. Jüngste Forschungen haben sogar gezeigt, dass das englische Wort „people“ nicht so geschlechtsneutral ist, wie man meinen könnte, und sich oft auf Zusammenhänge bezieht, die mit Männern in Verbindung stehen.
All diese Elemente tragen dazu bei, dass unsere Alltagssprache von einem heteronormativen und patriarchalischen Hintergrund geprägt und nicht repräsentativ für eine geschlechtsspezifisch vielfältige Gesellschaft ist. Obwohl wir dies meist unbewusst tun, liegt es in unserer Verantwortung, uns dessen bewusster zu werden.
In unserem kürzlich erschienenen Whitepaper „Geschlechtergerechte Sprache auf den Punkt gebracht“ befassen wir uns gründlich mit allen Aspekten des Geschlechts in der Sprache. Es ist eine unverzichtbare Lektüre für alle, die wissen wollen, warum die Repräsentation von Geschlechtsidentitäten wichtig ist, und die gleichzeitig Tipps erhalten möchten, wie sie ihre eigene Ausdrucksweise geschlechtergerechter gestalten können. Laden Sie es hier herunter.
Gesellschaftliche Auswirkungen
Es ist eindeutig erwiesen, dass die Art und Weise, wie wir Sprache verwenden, einen direkten Einfluss auf die Gesellschaft haben kann. In einer von der Weltbank im Jahr 2018 durchgeführten Studie wurden über 4.000 Sprachen untersucht, die 99 % der Weltbevölkerung ausmachen. Die Forscher resümierten, dass „geschlechtsspezifische Sprachen durchweg mit einer geringeren Erwerbsbeteiligung von Frauen verbunden sind“. Laut einer anderen Studie, die 2019 im Journal of Politics veröffentlicht wurde, zeigten zweisprachige Esten egalitärere Ansichten über die Rolle von Männern und Frauen in der Gesellschaft, wenn sie in der geschlechtslosen Sprache Estnisch antworten, als wenn sie in Russisch, einer geschlechtsspezifischen Sprache, antworten.
Auch wenn diese Studien darauf hindeuten, dass die Gleichstellung der Geschlechter leichter zu erreichen ist, wenn die Menschen eine geschlechtsneutrale Sprache sprechen, so zeigen sie doch vor allem, dass die Sprache in der Lage ist, Einstellungen in der Gesellschaft zu beeinflussen und zu prägen. Die Art und Weise, wie wir uns ausdrücken, hat einen Einfluss auf die Welt um uns herum.
Sprachverschiebungen
Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass es eine feststehende Art gibt, Dinge richtig oder falsch zu sagen, und dass Sprache sich nie ändert. Ganz im Gegenteil, die Sprache entwickelt sich ständig weiter und im Laufe der Jahrhunderte hat sich sogar unsere Grammatikverwendung erheblich verändert. Ein Beispiel ist das englische „thou“ (du/Sie). Diese veraltete Form benutzt heute niemand mehr. Früher war es jedoch die akzeptierte Form der Anrede für eine andere (einzelne) Person, und „you“ war Personen von hohem gesellschaftlichen Rang oder Königen vorbehalten. Als sich das zu ändern begann, gab es viel Widerstand gegen die Verwendung von „you“ im Singular. Insbesondere die Quäker waren mit der „ungrammatischen“ Verwendung dieses Pronomens unzufrieden. Hier sollten vor allem jene aufhorchen, die sich gegen die Verwendung von „they“ im Singular sträuben, weil das „verwirrend“ sei.
Aber die Abkehr vom „thou“ fand trotzdem statt und wird von den meisten Sprecher*innen nicht mehr in Frage gestellt. Die Sprache hat sich schon immer an den gesellschaftlichen Wandel angepasst und ist ein Spiegel der sich entwickelnden Einstellungen und Überzeugungen. Aus den obigen Ausführungen geht hervor, dass Sprache flexibel ist und dazu beitragen kann, Einstellungen zu ändern. In Bezug auf das Geschlecht bedeutet das also, dass die Sprache repräsentativer sein kann, wenn wir es wollen.
Sprachliche Anpassung und fortwährende Bemühung
Glücklicherweise werden wir uns der Problematik der ungleichen Darstellung der Geschlechter in der Sprache immer bewusster und unternehmen aktive Anstrengungen, um sprachliche Geschlechtervorurteile zu beseitigen. Die inzwischen übliche Verwendung des Singulars „they/them“ als Alternative zu den geschlechtsspezifischen Pronomen „she/her“ und „he/him“ im Englischen sowie die Bemühungen, die binären Geschlechterkategorien in Dokumenten und Anredeformen über männlich und weiblich hinaus zu erweitern, sind wohlbekannt. Das passiert in vielen Sprachen und Kulturen auf der ganzen Welt.
Eine geschlechtergerechtere Sprache kann bedeuten, dass man Wörter und Endungen hinzufügt oder inklusivere, allgemeinere Begriffe verwendet, aber in jedem Fall sind Anstrengungen erforderlich, um den aktuellen Impulsen für Veränderungen gerecht zu werden. Wir können nicht erwarten, dass wir etwas einmal gesagt bekommen und es danach ohne Anstrengung behalten und anwenden können. Und schwache Ausreden reichen nicht mehr, wir müssen aufhören, durch Sprache Schaden anzurichten, ob unbewusst oder nicht. Wie jede Art von Schulung oder Ausbildung, die wir durchlaufen, erfordert das Erlernen neuer Schreib- und Sprechweisen – und Verhaltensweisen – Zeit und Übung. Und am Arbeitsplatz ist das Thema sogar noch wichtiger.
Es wird heute erwartet, dass wir in unserem Arbeitsumfeld ausschließlich eine inklusive Sprache verwenden, und vorausschauende Organisationen entwickeln fortlaufend Richtlinien für deren Umsetzung. In einem global agierenden Unternehmen scheint dies jedoch nicht so einfach zu sein. Die Übertragung inklusiver Wörter und Wendungen in eine andere Sprache erfordert nicht nur sprachliche Kenntnisse, sondern auch ein tiefgreifendes kulturelles Verständnis. Erfahrene Übersetzer*innen verstehen die Fallstricke des sprachlichen Transfers zwischen geschlechtsspezifischen, geschlechtslosen und geschlechtsnatürlichen Sprachen und verfügen über zahlreiche Techniken, um diesen so geschickt und durchdacht wie möglich zu gestalten. Sie bleiben wachsam gegenüber sich schnell verändernden gesellschaftlichen Trends und wissen, wie man Übersetzungen entsprechend anpasst. Deshalb ist die Beauftragung von geschulten Linguist*innen mit der Übersetzung von kaufmännischen Texten und Firmenterminologie der beste Weg, um sicherzustellen, dass Ihre Sprache bei allen Beteiligten richtig ankommt.
Ein besserer Arbeitsplatz
Die Anerkennung der Geschlechtsidentität und die aktive Förderung der Integration am Arbeitsplatz sorgt für ein positives und kooperatives Umfeld. Studien zeigen, dass die Repräsentation der Identität am Arbeitsplatz zu einer zufriedeneren Belegschaft führt und bedeutet, dass ein Unternehmen in vollem Umfang von den unterschiedlichen Perspektiven und Ideen profitiert, die seine vielfältigen Mitarbeiter*innen einbringen. Wenn Inklusion einen hohen Stellenwert hat, erhöht sich die Mitarbeiterbindung und damit die Produktivität. Die Förderung eines Zugehörigkeitsgefühls ist eine Priorität für erfolgreiche Unternehmen und unterstützt die allgemeine Gesundheit und das langfristige Wachstum einer Organisation.
Sprache spielt eine führende Rolle bei der Verwirklichung von mehr Gleichberechtigung und Integration am Arbeitsplatz und trägt daher in hohem Maße sowohl zum Wohle der Mitarbeiter*innen als auch zum Wohle des Unternehmens bei. Für ein internationales Unternehmen könnte es daher nicht wichtiger sein, dies in allen Sprachen und an allen Standorten umzusetzen.
Machen Sie Sprache zu Ihrer Superkraft
Die Sprache ist ein Werkzeug, das wir als Menschen alle besitzen. Sie ist das mächtige Medium, mit dem wir unsere Voreingenommenheit, insbesondere in Bezug auf das Geschlecht, zum Ausdruck bringen und kultivieren, und sie reflektiert und verstärkt sowohl die Vorurteile der Gesellschaft als auch unsere eigenen. Indem wir unseren Sprachgebrauch verändern, haben wir auch die Chance, die Vorstellungen und Annahmen unserer Mitmenschen positiv zu beeinflussen. Das ist eine Gelegenheit, die wir nicht verschwenden sollten.