5 Prognosen für die Welt der Sprachen in diesem Jahr
Die Welt wäre ohne sprachübergreifende Kommunikation sicher eine ganz andere – gelinde gesagt. Hinter jeder erfolgreichen globalen Zusammenarbeit stehen engagierte Übersetzer, denn sie spielen eine wichtige Rolle bei der Schaffung unserer vernetzten, multikulturellen und spannenden Welt.
Dadurch können Übersetzungs- und Lokalisierungsunternehmen zwar einerseits in allen Geschäftsbereichen tätig werden, was für Widerstandsfähigkeit und Langlebigkeit sorgt. Andererseits bedeutet es aber auch, dass globale Kräfte einen erheblichen Einfluss auf unsere Arbeit nehmen können. Und 2023 kamen diese Kräfte voll zum Tragen.
Wirtschaftliche Faktoren wie steigende Zinssätze, hohe Inflation und geopolitischer Druck belasteten die Kosten und Gewinnspannen. Dadurch wurde das Wachstum branchenweit gebremst. Aber es waren zweifellos der Aufstieg der künstlichen Intelligenz und die Aussicht auf radikale Veränderungen in unserer Arbeitsweise, die die Sprachbranche auf große Umwälzungen 2024 vorbereitet hat.
1. Der Einzug der KI
Die Auswirkungen des Wandels durch die generative KI sind erst der Anfang. Niemandem war klar, dass die Veröffentlichung von ChatGPT durch OpenAI im November 2022 so unmittelbare Auswirkungen haben würde. Noch immer wissen wir nicht, wohin die Reise eigentlich gehen wird. Im Jahr 2024 wird die Sprachbranche also lernen, was die generative KI für uns bereithält.
In den letzten 12 Monaten sind die Grenzen der sprachproduzierenden KI-Programme deutlich geworden. So wissen wir jetzt viel mehr darüber, was die großen Sprachmodelle (Large Language Models; LLM) tatsächlich können und was nicht. Sie sind sicherlich nützliche Sprachinstrumente, neigen aber noch zu sehr zu sogenannten „Halluzinationen“. Daher sollte man ihnen Texte, bei denen es auf Genauigkeit und Präzision ankommt, nicht anvertrauen. 2024 werden wir daher weiter herausfinden, wie wir diese Technologie am besten einsetzen können und wo sie unseren Kunden den größten Nutzen bringen kann.
2. Der Mensch steht wieder im Mittelpunkt
Im vergangenen Jahr wurden viele Stimmen laut, die den Untergang des menschlichen Übersetzers, Dolmetschers oder Autors prophezeiten – die künstliche Intelligenz drohte, diese kreativen Aufgaben zu übernehmen. Glücklicherweise erwiesen sich diese Befürchtungen als unbegründet. Inzwischen ist klar, dass wir Menschen über viele Fähigkeiten verfügen, die Maschinen noch nicht beherrschen.
Die Beurteilung von Fairness und Ehrlichkeit, das Erkennen von Voreingenommenheit und der sensible Umgang mit kulturellen Nuancen gehören nicht zum Repertoire von ChatGPT. LLMs sind bei der Auslegung der Wahrheit gern mal kreativ („Halluzinationen“) und verfügen natürlich nicht über die menschliche Sensibilität oder gesunden Menschenverstand. Sie können zwar flüssige und grammatikalisch korrekte Sprache produzieren, aber die Texte laufen Gefahr, sachlich ungenau und stilistisch fantasielos zu sein.
Globale Branchen wie das Gesundheits- oder Finanzwesen sowie die Technologiebranche können sich keine ungenaue Sprache leisten. Unternehmen haben erkannt, dass menschliche Übersetzer für ihren internationalen Erfolg unerlässlich sind. Der Aufstieg der KI wird menschliche Arbeit nicht überflüssig machen, sondern könnte die einzigartigen Fähigkeiten von Experten aus Fleisch und Blut wieder stärker in den Vordergrund rücken.
3. Lokalisierung als Grundlage für Wachstum
Studien zeigen immer wieder, dass die Berücksichtigung der Sprache bei Expansionsüberlegungen eines Unternehmens und die sprachliche und kulturelle Anpassung der Inhalte an das Zielpublikum fast immer positive Auswirkungen auf das Käuferverhalten haben. In einer zunehmend vernetzten, digitalisierten Welt gibt es für Unternehmen keine Grenzen mehr. Aber um neue Märkte erschließen zu können, müssen die Sprache und deren lokale Ausprägung im Vordergrund stehen.
Die Lokalisierung in den Mittelpunkt bzw. an den Anfang der internationalen Expansion eines Unternehmens zu stellen, ist ein wachsender Trend, den immer mehr globale Akteure erfolgreich verfolgen. Wird die Lokalisierung im Unternehmen so früh wie möglich angesprochen, bleiben sprachliche Themen auf der Tagesordnung und sind nicht nur ein Nebengedanke. Da die Globalisierung der Wirtschaft immer weiter voranschreitet, dürfte die Planung einer flexiblen und skalierbaren mehrsprachigen Strategie in diesem Jahr von Anfang an für viele CEOs ganz oben auf der Agenda stehen.
4. Medienübersetzungen weiter auf dem Vormarsch
Ein kurzer Blick auf unsere Fernseh-Streaming-Dienste verrät, dass die meisten von uns heute ganz selbstverständlich Filme und Fernsehsendungen aus der ganzen Welt anschauen. Wir alle tauchen gern in Geschichten aus anderen Kulturen und Sprachen ein. Die Zahl der Plattformen, die uns diese Inhalte ins Haus bringen, wächst dabei ständig.
Das bedeutet auch, dass die Nachfrage nach Inhalten in anderen Sprachen durch Untertitel, Synchronisation und Voiceover in letzter Zeit erheblich gestiegen ist. Wie bei der Lokalisierung im Allgemeinen ist die Planung der Märkte für die entsprechenden Medieninhalte sowie die Art der Bereitstellung der Sprache von Anfang an ein wichtiger Aspekt.
Die KI dringt auch in diesen Sektor vor. Dabei entwickeln sich vor allem die automatische Spracherkennung und die synthetischen Sprachtechnologien sehr schnell und Unternehmen prüfen bereits, wo sie diese Techniken einsetzen können. Unter menschlicher Anleitung werden diese neuen Technologien zweifellos dazu beitragen, den steigenden Bedarf an Medienübersetzungen zu decken. Nach dem Ende der Streiks der Autorengewerkschaft in Hollywood dürfte sich dieser Zweig der Sprachbranche 2024 erholen und für ein hohes Arbeitsvolumen und technologische Entwicklungen sorgen.
5. Nachfrage nach neuen Sprachen
Durch wechselnde Wirtschaftsbedingungen sind weltweit neue Sprachen gefragt und aufstrebende Märkte in Asien, Afrika und Südamerika führen dazu, dass beispielsweise Hindi, Portugiesisch und Arabisch aufgrund des Bevölkerungswachstums und der Verbreitung des Internethandels immer mehr verwendet werden. 2024 wird sich die flexible Übersetzungsbranche höchstwahrscheinlich weiter auf diese nachgefragten Sprachen konzentrieren und ihre personellen und technischen Ressourcen entsprechend anpassen.
Die Internationale Dekade der indigenen Sprachen der UNESCO trägt dazu bei, das Bewusstsein für die drohende Gefahr des Verschwindens tausender Sprachen und die Bedeutung der Wiederbelebung von Sprachen zu schärfen. Viele globale Projekte setzen sich für den Erhalt von Minderheitensprachen und die Förderung ihrer Verwendung ein. Die Anerkennung der kulturellen, historischen und ökologischen Bedeutung aller menschlichen Sprachen soll dafür sorgen, dass diese Sprachen mehr in der digitalen Landschaft vertreten sind. Auch 2024 werden wir dafür kämpfen, dass alle Menschen in ihrer Muttersprache Zugang zum Internet, zu wichtigen Dienstleistungen und zu Bildung haben.
Ein Jahr voller Optimismus
Sprache verbindet uns alle in unserer Menschlichkeit. Die Erkenntnis, dass Menschen – und nicht die Maschinen – die fähigsten Schöpfer, Sprecher und Nutzer der Sprache und dabei in der Lage sind, Beziehungen aufzubauen, sollten wir im Jahr 2024 noch stärker verinnerlichen. Auch wenn die Technologie unsere Arbeit in der Sprachbranche bereits in erstaunlicher Weise unterstützt, so sind doch immer noch die Menschen das Herzstück der Branche.
Auf ein menschlich betriebenes, menschenfreundliches und technologiegestütztes Jahr 2024.